Das Arbeitsfeld Operationssaal weist im Hinblick auf den Arbeitsschutz eine Reihe von Besonderheiten gegenüber anderen Arbeitsfeldern auf:
- Konflikt zwischen Sicherheit der Mitarbeiter und Patientensicherheit
- Variabilität der Aufgabenstellung, der Behandlungsmethoden, des Behandlungsverlaufs und der Verantwortlichkeiten
- Wechselnde Zusammensetzung des Arbeitsteams
- Tätigkeitsbedingter Stress (Handlungsdruck am Patienten, Vorgehens- und Risikoabwägungen, Dauer von Eingriffen und Arbeitszeiten)
- Räumliche Enge am Patienten
Das Projekt SiGOS – Sicherheit und Gesundheit im Operationssaal hat zum Ziel, nachhaltige Präventionsmaßnahmen und -strategien zu entwickeln, die die Unfallgefahr verringern und die Gesundheit der Mitarbeiter im Operationsbereich verbessern.
Ist-Analyse
Insgesamt wurden etwa 500 Unfälle der Jahre 1998 und 1999 (im OP beschäftigte Versicherte der Unfallkasse Berlin) analysiert. Bei mehr als der Hälfte aller erfassten Unfälle handelt es sich um Schnitt- und Stichverletzungen (57%), gefolgt von Klemmen/Quetschen (11%) und Stoßen/Anstoßen (10%).
Von den knapp 600 ausgewerteten Berufskrankheitenanzeigen (1996-1999 bei der Unfallkasse Berlin angezeigt) betrafen 11% den OP-Bereich. Es dominieren Haut- und Atemwegserkrankungen (49%), gefolgt von Infektionserkrankungen (27%) und Wirbelsäulenerkrankungen (18%).
Interviews (n=66) mit Ärzten, Pflegekräften und Reinigungskräften erfassten im Rahmen einer Arbeitsplatzbegehung subjektiv wahrgenommene Gefährdungsmomente und deren Relevanz. Die Mitarbeiter nannten insgesamt 266 Gefahrenmomente, wobei die meistgenannten Punkte den Kategorien „Schnitt- und Stichverletzungen“ (57 Nennungen), „Stolpern/Ausrutschen“ (47 Nennungen), „Anstoßen“ (39 Nennungen) sowie „Heben und Tragen“ (38 Nennungen) zufallen.
Hinsichtlich der Ursachenfaktoren für Unfall- und Gesundheitsrisiken schätzen die Mitarbeiter die Stressbelastung als vorrangige Ursache für Unfall- und Gesundheitsrisiken ein (58% ja, 35% teilweise), gefolgt vom Nichteinhalten von Vorschriften (49% ja, 43% teilweise). Unzureichende Vorschriften halten nur vergleichsweise wenige Befragte für die Ursache von Unfall- und Gesundheitsrisiken (11% ja, 49% teilweise).
Um die Bedeutung des Themas „Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz“ für die Mitarbeiter im OP zu erfassen, sollten die Befragten weiterhin, folgende Liste hinsichtlich ihrer persönlichen Relevanz in einer Rangfolge skalieren: „Gute Zusammenarbeit im Team und mit Vorgesetzten“, „interessante Aufgaben“, „stressarmes Arbeiten“, „Möglichkeit zu beruflichem Fortkommen“, „Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz“, „Qualität des Kantinenessens“. Während Pflegekräfte das Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz durchschnittlich als zweit wichtigstes Thema einstufen, belegt es bei den Ärzten nur den vorletzten Rang.
Die Prozessanalyse erfolgte durch die Erfassung und Gliederung (aller) Teilprozesse im OP- Bereich mittels Beobachtung und Befragung. Die Beschäftigten ermittelten in Workshops Gefahren und Belastungsmomente aus den Prozessflussdiagrammen. Das Ergebnis besteht aus einer Übersicht über die Prozesse und prozessbezogenen Belastungs- und Gefährdungsmomente.
Schwerpunkt 1: Rückengerechtes Arbeiten
Eine Beobachtungsstudie (OWAS-Methode, Leitmerkmalmethode, DIN EN 1005-2) ermittelte die durch Körperhaltung und Lastenhandhabung entstehenden Belastungen für die Wirbelsäule bei den Beschäftigten im urologischen OP. Den einzelnen Körperhaltungen wurden die entsprechenden Arbeitstätigkeiten zugeordnet. Dabei zeigte sich, dass (1) die Gesamtbelastung hoch ist und dass (2) stark belastende Tätigkeiten selten auftreten, während mäßig belastende Tätigkeiten oft auftreten. Weil die Belastung nicht durch eine Einzeltätigkeit, sondern durch eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten entsteht, wurden bei der Erarbeitung von Abhilfemaßnahmen diejenigen Maßnahmen favorisiert, die sich mit geringem Aufwand umsetzen lassen. (Nach dem Motto: Jede Lösung, die die Gesamtbelastung reduziert, ist eine gute Lösung, wenn sie umsetzbar ist.)
Die nachfolgend beschriebenen Abhilfemaßnahmen sind im Rahmen eines Experten-Workshops erarbeitet worden und wurden im Projektteam weiterentwickelt.
- Veränderte Anordnung der Siebe in den Schränken des Lagers
- Seminare zum Training rückenschonender Arbeitsweisen
- wärmende Kleidung, um Muskelverspannungen durch Zugluft zu vermeiden
- Kooperation mit Fitness-Studio
Schwerpunkt 2: Schnitt- und Stichverletzungen
Ein Probelauf, der die Handhabbarkeit von Venenverweilkanülen mit Sicherheitseinrichtung testete, zeigte, dass (1) die Mitarbeiter die Sicherheitsvorrichtungen akzeptieren und (2) der Einsatz von Sicherheitsprodukten den Arbeitsablauf nicht verlängert.
Eine häufige Ursache für Schnittverletzungen im Bereich der operativen Disziplinen besteht in der Übergabe von Instrumenten. Im Rahmen von Workshops erarbeiteten die Beschäftigten Übergabetechniken mit geringem Gefährdungspotenzial. Das Ergebnis besteht in einer Fotodokumentation sicherer Übergaberoutinen.
Schwerpunkt 3: Räumliche und bauliche Gestaltung
Aufgrund neuerer technischer Ausstattung ist der im OP und im OP-Trakt verfügbare Raum insbesondere in älteren OPs stark begrenzt. Dies verstärkt die Verletzungsgefahr durch Anstoßen oder Stolpern. Am Beispiel eines OP-Traktes, der vorrangig für ambulante (seltener für stationäre) Patienten genutzt wird, wurde ein Raumgestaltungskonzept entwickelt, dass den verfügbaren Platz möglichst optimal ausnutzt.
Als Ergebnis wurden fünf Grundrisse erstellt, die jeweils mit unterschiedlicher Reichweite die zuvor ermittelten Verbesserungspotenziale aufgreifen und umsetzen. Zusätzlich wurden Handlungsempfehlungen an das Personal formuliert, die die Verletzungsgefahr weiter minimieren sollen. Aus finanziellen Erwägungen ist eine Umsetzung bisher allerdings nicht erfolgt.
Schwerpunkt 4: Stress
Um die beanspruchungsrelevanten Belastungsfaktoren im OP zu ermitteln, wurde ein Fragebogen erarbeitet, der auf Basis des Belastungs-Beanspruchungs-Konzepts solche Größen erfragt, die den Akteuren bewusst sind. Im Rahmen einer Internet-Befragung gaben Ärzte Einschätzungen hinsichtlich ihrer eigenen Arbeitstätigkeiten und Arbeitsbedingungen (Belastungsfaktoren) und Befindlichkeitsbewertungen (Beanspruchungsfolgewirkungen wie Müdigkeit, Kontaktbereitschaft, Stimmungslage) nach einem Arbeitstag an. Insgesamt beteiligten sich 350, über drei Fachzeitschriften angesprochene Ärztinnen und Ärzte an der Befragung (Durchschnittsalter 41,5 Jahre, 61% männlich, 39% weiblich).
Wegen der vielfältigen Abhängigkeiten zwischen den Variablen wurden die Daten einer kanonischen Korrelationsanalyse unterzogen. Es finden sich drei signifikante kanonische Korrelationen. Der insgesamt große Anteil erklärter Varianz (numerisch 67%, Set-Korrelation 31%) zeigt, dass die Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz die persönliche Befindlichkeit des ärztlichen Personals (außerhalb der Arbeitszeit!) beeinflussen. Dieser Zusammenhang ist im wesentlichen multifaktorieller Natur, selektive Beziehungen sind nur in einer zweitrangigen Größenordnung zu identifizieren.
Präventionsstrategien
Die gewonnenen Erkenntnisse flossen in ein systematisch geleitetes Präventionskonzept ein, mit dem Handlungskompetenz bei den Beteiligten zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren ausgebildet wird.