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Deeskalationsprojekt in der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH

Die Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH als größter kommunaler Krankenhaus Konzern in Deutschland initiierte bereits im Mai 2008 gemeinsam mit der Unfallkasse Berlin ein Deeskalationsprojekt für seine insgesamt sieben Psychiatrischen Kliniken und Rettungsstellen. Die Projektlaufzeit wurde auf zwei Jahre festgelegt und sollte die Schulung von ca. 1500 Mitarbeitenden aller Berufsgruppen durch ausgebildete Deeskalationstrainer beinhalten. So die Startbedingungen in einer Kurzbeschreibung.

Heute können wir von einem im Unternehmen implementierten Deeskalationsmanagement für alle Mitarbeitenden der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH sprechen, welches im Umfang und in der gelebten Durchdringung sicherlich herausragend ist. 

Aber zurück zu den Anfängen. Die Zunahme von gewaltgeneigten Situationen in der Gesellschaft spiegelte sich, wie nicht anders zu erwarten, auch in den klinischen Bereichen der Psychiatrie und in den Rettungsstellen wider. Unserer Mitarbeitenden sahen und sehen sich im beruflichen Alltag somit häufiger mit gewalttätigen Situationen konfrontiert. Diese Zunahme wird durch eine Erfassung der Aggressionsmeldungen und den steigenden Unfallmeldungen belegt.  

Im ersten Schritt wurde durch eine Arbeitsgruppe von ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden aller betroffenen Kliniken eine Ist-Erhebung zu den klassischen Belastungssituationen und den bis dahin sehr differenzierten Verfahrensweisen vorgenommen. Hierbei wurden häufig vorkommenden Situationen der Eskalation und den sich daraus ergebenen Folgen ebenso wie die technischen und personellen Ressourcen erfasst. 

Multiplikatoren und Schulungen

Im zweiten Schritt erfolgte die Ausbildung der Deeskalationstrainer. Die Ausbildung fand ausschließlich über den Ausbilder „KonfliktFit“ statt. Die Ausbildung erfolgte in den drei Ebenen des Deeskalationsmanagement, Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Der Ausbildungszeitraum betrug in der Regel sechs bis acht Monate. Die Schulungen wurden in fünf Blöcken von jeweils drei Tagen durchgeführt und wurden durch Selbstlernphasen ergänzt. Der fünfte Ausbildungsblock wurde als erste eigene Schulung (Basisschulung) gestaltet, die durch die Ausbilder supervidierend begleitet wurde. Alle Trainer schlossen ihre Ausbildung mit einer Zertifizierung als betriebsinterner Präventions- und Deeskalationstrainer ab. Gleichzeitig wurden die Trainer für die Vermittlung der Schulungsinhalte und ihre Aufgaben als Berater und psychologischer Erstbetreuer ausgebildet. Eine Vertiefung der Kompetenzen als psychologischer Erstbetreuer erfolgte über eine zweitägige Schulung durch eine Notfallpsychologin in Kooperation mit dem „Malteser Hilfsdienst“. 
Die Qualifizierung der Trainer erfolgte in vier nacheinander folgenden Staffeln und konnte, wie beschrieben mit einer ersten eigenen Basisschulung abgeschlossen werden.

Die Basisschulungen wurden im Umfang von drei Tagen für alle Kliniken der Psychiatrie und den Rettungsstellen angeboten und durchgeführt. Die Schulungen wurden in der Regel in Anwesenheit von zwei Trainern und in einer Gruppenstärke von mindestens sechs und höchsten vierzehn Teilnehmern durchgeführt. Teilweise erfolgte die Durchführung aus organisatorischen Gründen in den psychiatrischen Kliniken an den Standorten. Im Standard wurden die Schulungen aber im unternehmenseigenen Fortbildungsinstitut durchgeführt. Die Schulungsinhalte orientierten sich an den Inhalten der Ausbildung der Deeskalationstrainer. Für spezifische Wissensfelder wie zum Beispiel der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder in den Rettungsstellen haben die zuständigen Trainer zusätzliche Schulungsinhalte entwickelt.

Neben der Vermittlung von beeinflussenden Umweltfaktoren (externe und interne Stressoren) sowie der Berücksichtigung von technischen und baulichen Gegebenheiten wurde die Kompetenzentwicklung im Bereich der verbalen und körperlichen Deeskalationsfähigkeit in den Vordergrund der Schulungen gestellt. Eine projektbegleitende Prä-Posterhebung zeigt hierzu eindeutige Erfolge.

Im Bereich der verbalen Deeskalation wurden die wesentlichen Grundlagen der bekannten Kommunikationstechniken vermittelt (z.B. Schulz v. Thun). In gezielten Übungen wurden Techniken aus dem Bereich der Mediation wie z. B. das Paraphrasieren oder auch der Einsatz von Humor vermittelt. Der Einsatz von Körpersprache stellte einen weiteren Schwerpunkt in diesem Teil der Schulungen dar.
Im Vordergrund der Vermittlung stand dabei immer die Leitlinie, auch in schwierigen Situationen - soweit möglich - den Konfliktverlauf positiv über den Einsatz von Sprache zu gestalten.

Die Kompetenzentwicklung im Bereich der Körperarbeit erfolgte über verschiedene Wahrnehmungsübungen und der Vermittlung von persönlichen Sicherheitstechniken. Die Beachtung von Grundsicherheit wie Abstand, sicherer Stand oder die Position im Raum gingen dabei in die Vermittlung von Befreiungstechniken über. Das Erlernen einer Teamsicherheitstechnik mit einer Handlungsabfolge zum sicheren Ergreifen eines Menschen in bedrohlichen und gefährlichen Situationen wurde bis zum realen Ablauf in einer Fixiersituation gezeigt und geübt. 

Ziele und Ergebnisse

Von besonderer Bedeutung ist die Fähigkeit, entstehende Konflikte rechtzeitig wahrnehmen zu können und einen möglichen Konfliktverlauf zu erkennen. Unter Berücksichtigung des „Konfliktverlauf nach Glasl“ und den Angriffsphasen nach Breakwell wurden die Schulungsteilnehmer befähigt, frühzeitig in sich steigernde Konflikte einzugreifen, beziehungsweise deren Entstehen zu verhindern. Auch bei diesem Teil der Fortbildung wurden die spezifischen Situationen im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden berücksichtigt. So wurde bei den Schulungen der Rettungsstellen die Situation in den Wartezimmern als Standardbeispiel genutzt. Hier konnte ebenfalls eine prägnante Kompetenzentwicklung bei den Teilnehmern erreicht werden.

Zusammenfassend beschreiben die Mitarbeitenden ein stark gestiegenes Sicherheitsgefühl durch die gestiegenen Kompetenzen in den einzelnen Handlungsfeldern. Aber auch das Verständnis für die Zusammenarbeit der Berufsgruppen bzw. die bessere Koordination der Abläufe werden benannt.
Zur verbesserten Koordination der Abläufe und dem Gefühl der Sicherheit gehört sicherlich auch das Wissen um eine geregelte Nachsorge (Tertiäre Prävention).

Hierzu wurde in Zusammenarbeit mit dem Bereich des betrieblichen Gesundheitsschutzes eine „Handlungsrichtlinie zum Umgang mit Mitarbeitern nach Extremsituationen“ entwickelt. Dabei handelt es sich um ein projektübergreifendes Instrument zur Versorgung aller Mitarbeitenden der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH. Ziel dieser Richtlinie ist es, jedem Mitarbeiter des Unternehmens nach einem traumatisierenden Ereignis die Möglichkeit der psychologischen Erstbetreuung anzubieten.

Die Richtlinie bietet Hilfestellungen für die Handlungsebene der kollegialen Erstbetreuung und bildet das Unterstützungssystem des Unternehmens ab. Zusätzliche Hintergrundinformationen dienen der Schulung und Wahrnehmungsschärfung zu Symptomen von gelungener oder nicht gelingender Bewältigung.
Die Nutzung der beiden Kriseninterventionsstationen mit dem auf Traumatisierungen spezialisierten Personal ist über ein Pilotprojekt mit der UKB geregelt und finanziert. 

Wo stehen wir heute?

Wie eingangs beschrieben wurde aus dem Projekt zur Einführung von Deeskalationsstrategien ein für das gesamte Unternehmen bestehendes Deeskalationsmanagement. Weitere Kliniken wurden einbezogen. In den Kliniken der Psychiatrie finden regelmäßige Folgeschulungen statt. Durch die natürliche Fluktuation erforderliche neue Deeskalationstrainer werden ausgebildet. Im zentralen Fortbildungsinstitut finden regelmäßige Schulungen für alle Mitarbeiter des Unternehmens statt. Alle Auszubildenden der Gesundheit- und Krankenpflege erhalten im Rahmen ihrer Ausbildung einen Unterrichtsblock zur Thematik und sind somit in den Grundsicherheitstechniken geschult und sensibilisiert. Individuelle Beratungs- und Schulungsangebote für alle klinischen und nichtklinischen Bereiche werden ermöglicht. Ein erstes Klinikum wird ab im kommenden Jahr vollständig mit allen klinischen Bereichen deeskalationsgeschult. Das Deeskalationsmanagement ist fester Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagement und der relevanten Sicherheitsausschüsse. 
Und vor allem, erste Zahlen belegen einen Rückgang der Angriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 

Ansprechpartner:

Thorsten Rosenbäck, Projektleiter Vivantes GmbH
Thorsten.rosenbaeck@vivantes.de

Dagmar Elsholz, Unfallkasse Berlin, Referatsleiterin Allgemeine Unfallversicherung
d.elsholz@unfallkasse-berlin.de

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